S-Bahn Welt

S drehte sich um Berlin

Zeitreise nach Bernau: So erlebten Besucher:innen das Festival zum 100. Geburtstag der Berliner S-Bahn.

Begeisterter Empfang als nachmittags der historische Sonderzug in Bernau eintrifft.
Begeisterter Empfang als nachmittags der historische Sonderzug in Bernau eintrifft.

„Steigen Sie ein in den Zug von Berlin nach Bernau. Mit Elektrizität! Endlich ungefährlich, erprobt!“ Pünktlich geht’s los am Stettiner Vorortbahnhof – pardon, Nordbahnhof – heißt der ja heute. Die geladenen Gäste dürfen auf hellen Holzbänken Platz nehmen, und im historischen Jubiläumszug zurückreisen in die zwanziger Jahre. Ins letzte Jahrhundert.

Ein Blick ins Innere eines historischen Zuges
Ein Blick ins Innere eines historischen Zuges

„Ziiiiisch“ machen die Druckluftbremsen. „Klack, klack, klack“, tönt es. „Das ist der Fahrmotor. Die Relais, die Stufen höher schalten“, erklärt Oscar vom Verein Historische S-Bahn fachmännisch. Der Sound der Vergangenheit ist ein ganz besonderer.

Unter den S-Bahn-Fans ist auch Hugo: „Alte Züge finde ich toll! Die haben so viele Hebel und Knöpfe zum Drücken.“
Unter den S-Bahn-Fans ist auch Hugo: „Alte Züge finde ich toll! Die haben so viele Hebel und Knöpfe zum Drücken.“

Hauptberuflich steuert Oscar ICEs mit über 300 Stundenkilometern quer durchs Land. Vergangene Woche tauschte der junge Lokführer seinen blau-roten Dienstblouson gegen eine alte Uniform und knipste mit einer kleinen Metallzange vergnügt Fahrkarten aus Pappe ab.

Aurel Gröne in alter Uniform knipst Fahrkarten auf der Fahrt im historischen Zug.
Aurel Gröne in alter Uniform knipst Fahrkarten auf der Fahrt im historischen Zug.
Mit dieser Jubiläumsfahrkarte ging es zurück in die Vergangenheit.
Ein Knips und schon kann es losgehen: Mit dieser Jubiläumsfahrkarte ging es zurück in die Vergangenheit.
Herrlich, wie der Wind durch die Fenster weht, wie früher!

Fahrgast im historischen Zug
Ich kenne solche alten Züge noch aus meiner Kindheit. Man konnte die Türen während der Fahrt aufziehen und einfach auf dem Bahnsteig abspringen. Streng verboten war das, aber die Berliner haben ja bekanntlich nie Zeit. Das ist heute so und das war früher so.

Fahrgast im historischen Zug
Ich bin `36 geboren, im Jahr der olympischen Sommerspiele. Für mich ist diese Fahrt deshalb sehr spannend.

Fahrgast im historischen Zug
Auch Emmeline und Mutter Manuela hatten eines der heiß begehrten Tickets für den Oldtimer ergattert.
Auch Emmeline und Mutter Manuela hatten eines der heiß begehrten Tickets für den Oldtimer ergattert.

Der Jubiläumszug ist mit vier Wagen unterwegs – Baujahr 1928 und 1938. In der Holzklasse geht’s durch die Hauptstadt, erst durch den Tunnel, später vorbei an Lärmschutzwänden, Häusern und Kleingärten bis schließlich Bäume und Wiesen zu sehen sind.

Kurz hinter Blankenburg winken Trainspotter auf dem Feld enthusiastisch: Mit riesigem Stativ und Kameras fangen sie die Jubiläumsfahrt ein: Genau vor 100 Jahren, am 8. August 1924, fuhr vom heutigen Nordbahnhof erstmals eine „Elektrische“ nach Bernau: die „offizielle Geburtsstunde“ der S-Bahn.

Der historischer Zug fährt in den S-Bahnhof Wannsee ein.
Der historischer Zug fährt in den S-Bahnhof Wannsee ein.
Auch durch den modernen S-Bahnhof am Ostkreuz rollte der historische Zug.
Auch durch den modernen S-Bahnhof am Ostkreuz rollte der historische Zug.

Statt zu dampfen und zu schnaufen, sind die neuen Stadtbahnen mit Gleichstrom unterwegs.

Wie modern sich das angefühlt haben muss im Jahr 1924, auch ohne elektronische Anzeigen mit Echtzeitinformationen. Seit hundert Jahren fährt die S-Bahn elektrisch (….), was Elektroautos gerade lernen, kannst du seit hundert Jahren.

David Wagner Berliner Schriftsteller in seinem Geburtstagsgruß an die S-Bahn
Ein prüfender Blick von Walied Schön vom Verein Historische S-Bahn, bevor es mit der Fahrt weiter gehen kann.
Ein prüfender Blick von Walied Schön vom Verein Historische S-Bahn, bevor es mit der Fahrt weiter gehen kann.

Im Führerstand des Jubiläumszugs steht Walied Schön vom Verein Historische S-Bahn und Lokführer bei der S-Bahn Berlin: „Wir sind unglaublich froh und erleichtert, dass alles rechtzeitig fertig geworden ist.“

Gemeinsam haben sie im Verein monatelang geschraubt, getüftelt, alte Unterlagen gewälzt und am Computer gesessen, damit der Oldtimer mit moderner Zugsicherungstechnik auf die Jubiläumstour gehen kann. Ein Bordcomputer unter der Holzbank überwacht jetzt die Fahrt und stoppt den Zug im Notfall automatisch.

Die Fans freuen sich, als der Jubiläumszug am rappelvollen Bahnsteig in Bernau eintrifft.
Die S-Bahnfans freuen sich, als der Jubiläumszug am rappelvollen Bahnsteig in Bernau eintrifft.

Genauso wie vor 100 Jahren läuft jedoch alles wie am Schnürchen. Als der Jubiläumszug am rappelvollen Bahnsteig in Bernau eintrifft, winken die Fans und klatschen wild – als wäre er ein Popstar.

Auch der achtjährige Hugo ist dabei: „Ich mag alles, was alt ist. Die alten Züge haben so viele Knöpfe und Hebel, die man drücken kann.“ Auf dem Kopf trägt er eine Eisenbahnermütze. „Die habe ich im Museum gekauft.“ Robert hat sich auch in Schale geworfen für den festlichen Anlass: „Das ist eine historische Reichsbahner-Uniform, von wann genau weiß ich nicht“, erklärt der Rentner.

Viele „Zeitreisende“ ließen es sich nicht nehmen, im 20er-Jahre-Outfit in den Jubiläumszug einzusteigen.
Viele „Zeitreisende“ ließen es sich nicht nehmen, im 20er-Jahre-Outfit in den Jubiläumszug einzusteigen.

Und natürlich haben Fahrgäste im glamourösen Zwanziger-Jahre-Stil ihren großen Auftritt. Paillettenkleider, Federn, Stirnbänder und Zigarettenspitzen sind auf dem Bahnsteig zu sehen, aber auch sommerliche Strohhütchen, Knickerbocker, Monokel und Einstecktuch. Emmeline und ihre Mutter Manuela aus Bernau tragen zum Retro-Outfit zwei große alte Lederkoffer. Was da wohl drin ist?

So eine kunterbunte S-Bahn sorgte für Staunen - und warf Fragen auf.

Gleich gegenüber gab es noch zwei Geburtstags-Überraschungen am Bahnhof: Kurz vor dem historischen Zug fuhr die S-Bahn der Baureihe 481, die genau vor 10 Jahren auf den Namen Bernau getauft wurde, ein. Direkt nach der Ankunft des historischen Sonderzugs schickte die S-Bahn Berlin dann noch ein ganz besonderes Fahrzeug aufs Gleis: Ein Zug, der komplett mit zehn verschiedenen Fahrzeugdesigns der vergangenen 100 Jahre beklebt ist.

Auf ein Tänzchen: Bei Charleston und Lindy-Hop auf dem Bahnhofsvorplatz in Bernau gab es einen Tanzkurs für 20er-Jahre-Fans (Veranstalter Swing Patrol).
Auf ein Tänzchen: Bei Charleston und Lindy-Hop auf dem Bahnhofsvorplatz in Bernau gab es einen Tanzkurs für 20er-Jahre-Fans (Veranstalter Swing Patrol).

„Ich bin die Marie von der Haller-Revue! Im Tanzen bin ich ein Genie!“, klingt es eine Etage tiefer. Nicht nur auf dem Bahnsteig, auch auf dem Bahnhofsvorplatz sind die „Roaring Twenties“ angesagt. Gespielt werden Walzer und Schlager vom Brandenburgischen Konzertorchester Eberswalde. Nach dem Anschneiden der Geburtstagstorte swingen die Festival-Gäste im Takt der Zwanziger. „Quick, quick, slow – schnell, schnell, langsam.“ Zu Charleston und Lindy Hop fliegen Arme und Beine in die Luft. Beim Schnupper-Tanzkurs sind die neunjährige Amelia und ihre Mutter dabei.

Wir sind aus Italien zu Besuch hier. Ich habe vor vielen Jahren in Berlin gewohnt – und freue mich, beim Festival dabei zu sein. Die S-Bahn gehört für mich zum Herz der Hauptstadt.

Miriam Mutter von Amelia und Besucherin des Festivals in Bernau

Wer abends bei der großen Geburtstagsparty am BeachMitte weiterfeiern wollte, stieg in den Sonderzug Richtung Nordbahnhof oder fuhr mit der S2 zum Fest. Bands wie Westhafen, Mitsune oder Hitgirls sorgten auf dem sandigen Dancefloor für Stimmung.

Im Beach Club hinter dem Nordbahnhof sorgte abends die japanische Folk-Fusion-Band Mitsune für Stimmung bei der großen Geburtstagsparty.
Im Beach Club hinter dem Nordbahnhof sorgte abends die japanische Folk-Fusion-Band Mitsune für Stimmung bei der großen Geburtstagsparty.
Am BeachMitte wurde die große Geburtstagsparty weitergefeiert.
Am BeachMitte wurde die große Geburtstagsparty weitergefeiert.
Von Bernau nach Berlin - natürlich S-Bahngefahr'n.
Von Bernau nach Berlin - natürlich S-Bahngefahr'n.

Als Kultrapper Romano seine Songs performt, wird es richtig voll. Natürlich darf auch „S-Bahn fahr’n“ nicht fehlen:

Das Ständchen hab ich der S-Bahn extra zum Geburtstag geschrieben, ist doch ein Liebesbeweis, oder?

Romano Musiker
Kult-Rapper Romano war der Star des Abends am BeachMitte.
Kult-Rapper Romano war der Star des Abends am BeachMitte.
Die Crowd feiert beim Romano-Konzert.
Die Crowd feiert beim Romano-Konzert.

Seine besonderen Momente mit der S-Bahn?

Da gab es schon schräge Sachen. Zum Beispiel, als ich mal zwei aggressiven Typen begegnet bin. Da hab` ich denen was vorgerappt. Die fanden das so cool, dass sie gleich mit mir abhängen wollten. War schwer, die wieder loszuwerden. Natürlich hab‘ ich auch schon in der S-Bahn geflirtet, hatte schöne Dates. Hat sich aber verlaufen.

Romano Musiker

Noch mehr Konzerte und Sonderfahrten, aber auch Podcasts, Ausstellungen, Führungen, Filme, Installationen, Lesungen und vieles mehr gab’s an den anderen Festivaltagen: Wer wollte, konnte weitere besondere Momente aus der Geschichte der S-Bahn erleben. Glückliche, traurige, aufregende.

Auf verschiedenen Bühnen spielten Bands live: hier am S-Bahnhof Friedrichstraße.
Auf verschiedenen Bühnen spielten Bands live: hier am S-Bahnhof Friedrichstraße.
100 Jahre S-Bahn und Stadtgeschichte in Bildern
100 Jahre S-Bahn und Stadtgeschichte in Bildern
Geschichten aus dem geteilten Berlin trug die Schauspielerin Sabine Weißhaar vor.
Geschichten aus dem geteilten Berlin trug die Schauspielerin Sabine Weißhaar vor.

Im Tränenpalast erzählte Schauspielerin Sabine Weißhaar aus der Zeit der geteilten Stadt, als sich am ehemaligen Grenzbahnhof Friedrichstraße Menschen für immer trennen mussten. Oder vom 9. November 1989, als Lokführer Dieter Müller jubelnde Menschenmassen über die Grenze transportierte: „Ich hatte zum Schluss keinen Hut mehr auf, keinen Knopf mehr an der Jacke, ich sah wie ‚Schlumpi‘ aus und war mit Sekt bespritzt von ‚Hacke bis Nacke‘.“

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